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Sonntag, 31. Januar 2021
Freitag 10. Dezember 2004

Wie viel darf der Radverkehr kosten?

Rubrik: Aktuelles, Studie
Von: Lukas Beurle

Dieser Frage sind wir in einer Studie zur Vehältnismäßigkeit der Verkehrsausgaben im Großraum Linz nachgegangen. Im Zeitraum 1995-2010 werden im Großraum Linz rd. 60 % für den MIV, rd. 40 % für den Öffentlichen Verkehr und weniger als 1 % für den Radverkehr ausgegeben. Um nur annähernd eine Verhältnismäßigkeit herzustellen, müsste dem Radverkehr deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Der Vorschlag der Initiative FahrRad OÖ lautet, rd. 25 Mio EURO in einer mehrjährigen Schwerpunktaktion für den Radverkehr in Linz aufzuwenden.

Verkehrsanteile in österr. Städten

Internationale Ausgaben für den Radverkehr

Ausgaben für Verkehrsarten in Linz

Spezifische Kosten von Verkehrsprojekten

Radlerparadies Kopenhagen

Linz: lückenhaftes Radwegnetz

In Linz ist der Radverkehrsanteil in Relation zu vergleichbaren Städten sehr niedrig, ebenso auch die Investitionen in den Radverkehr. Während für Großprojekte des MIV und ÖV in Linz sehr große Summen ausgegeben werden, wird für den Radverkehr in Linz wenig Geld aufgebracht. Investitionen für den Radverkehr in noch nie dagewesener Höhe sind daher nötig, um die im Linzer Verkehrsleitbild gewünschte Erhöhung des Radverkehrsanteils bei gleichzeitiger Reduktion des MIV zu erreichen.

Der Verkehr entwickelt sich zunehmend zum klimapolitisch wichtigsten Handlungsfeld.
Die Entwicklung der Emissionen des Verkehrssektors läuft komplett in die falsche Richtung; die Zunahmen im Verkehr sind am größten. Vom selbst gesteckten Kyoto-Ziel ist man weit entfernt. Die Förderung des Radverkehrs zählt zu den billigsten Maßnahmen, kurzfristig CO2- und Schadstoff-Emissionen zu vermeiden und Energie einzusparen.

Der motorisierte Verkehr ist der Hauptverursacher von Lärm, generell kommen rd. 85% des Lärms vom Verkehr. Eine Steigerung des Radverkehranteils ist daher auch als Lärmschutzmaßnahme zu sehen. Ebenso werden Staus durch eine Verlagerung der kurzen Kfz-Binnenwege auf den Radverkehr reduziert.

Oft wird als positiver Effekt von Großprojekten der Beschäftigungseffekt für die Bauwirtschaft und die Arbeitsplatzsicherung genannt. Tatsächlich ist der Beschäftigungseffekt des Baues von Radwegen um mehr als 50% höher als der des Baues des hochrangigen Straßennetzes.

Das Potenzial der Fahrrades als Alternative zum Auto wird viel zu gering einschätzt, obwohl 2/3 aller Wege in OÖ kürzer als 5 km sind, für die das Fahrrad üblicherweise das schnellste aller Verkehrsmittel ist. Das Fahrrad darf nicht primär als Freizeitverkehrsmittel gesehen werden.

Aufholbedarf bei Radverkehr

Die Wirksamkeit der Radverkehrsförderung darf nicht nur anhand der Länge der Radwege gemessen werden: das Ziel ist nicht das Erreichen einer Mindestlänge des Radverkehrsnetzes, sondern ein hoher Radverkehrsanteil. Linz liegt in Relation zu den vergleichbaren österreichischen Städten Graz, Salzburg und Innsbruck beim MIV 4% über, beim ÖV um 5% über, beim Radverkehr aber 9% unter dem Mittelwert des Modal-Splits dieser drei Städte.

Alltagsradfahren in Linz findet teilweise unter unattraktiven und gefährlichen Bedingungen statt: Radwege enden oft gerade dort, wo sie die Verkehrssituation am notwendigsten erfordern würde, immer noch sind zahlreiche Einbahnen für Radfahrer nicht geöffnet und bedingen damit erhebliche Umwege und manche Stadteile wie z.B. das Gebiet südwestlich des Zentrums (über Waldeggstraße) bzw. das Gebiet entlang der Industriezeile sind überhaupt nur auf stark befahrenen Straßen erreichbar bzw. befahrbar.

Verkehrspolitische Ziele und tatsächliche Entwicklung

Die 1994 veröffentlichten verkehrspolitische Ziele des Landes OÖ sahen vor, oberösterreichweit den MIV bis 2010 auf 43% zu reduzieren, tatsächlich lag er 2001 bei 61%. Beim Radverkehr war das Ziel für 2010 14%, tatsächlich ist er von 6,8% (1992) auf 6,3% im Jahr 2001 zurückgegangen.

Der Verkehrsanteil des MIV liegt in OÖ also rund 40 % über dem Ziel, der Radverkehr bei weniger als der Hälfte des beabsichtigten Wertes für 2010. In der Landeshauptstadt Linz ist dieser Trend auch nicht viel besser.

Investitionen in Großprojekte für den MIV in Linz ohne gleichzeitige massive Investitionen für den Radverkehr werden diesen Trend nicht umkehren können.

Ausgaben für die einzelnen Verkehrsmittel

Gemäß einer groben Abschätzung der Investitionen in Verkehrsprojekte in Linz im Zeitraum von 1995 bis 2010 werden ca. 62% der Ausgaben für den Kfz-Verkehr aufgewendet, für den Öffentlichen Verkehr ca. 37% und für den Radverkehr knapp unter 1%. Die jährlichen Ausgaben für den Radverkehr in Linz sind mit 300 000 € pro Jahr heute auf dem niedrigsten Niveau seit über 20 Jahren, und das zu einem Zeitpunkt, wo die teuersten Projekte für den Autoverkehr (z.B. Tunnel A7: 140 Mio. €, Westring: 580 Mio. €) und den öffentlichen Verkehr (z.B. Mini-U-Bahn: 90 Mio €, City-S-Bahn: 190 Mio. €) in der Geschichte umgesetzt werden bzw. geplant sind.

Während in Linz in den letzten Jahren 2 € pro Einwohner und Jahr für den Radverkehr ausgegeben wurden, lagen die Investitionen in den vergleichbaren Städten Parma (I), Linköping (S), Grenoble (F) und Groningen (NL) bei 12 bis 25 € pro Einwohner und Jahr. Laut einer Studie des deutschen Umweltbundesamtes sind insgesamt rund 200 € je Einwohner notwendig, um bei einem niedrigen Ausgangsniveau (und das trifft auf Linz aufgrund des geringen Radverkehrsanteils zu) den Radverkehr auf ein akzeptables Niveau zu heben. Auf Basis der derzeitigen Ausgaben für den Radverkehr in Linz würde das 100 Jahre dauern!

Der personelle Bedarf wären 4-5 Personen, die sich ausschließlich um die Belange des Radverkehrs kümmern sollten; tatsächlich sind es in Linz 1-2.

Spezifische Kosten

Der Nutzen eines Verkehrsprojektes kann abgeschätzt werden, indem die Investitionskosten des Projekts auf die Anzahl der täglichen Wege bezogen werden. Diese spezifischen Kosten betragen beim Westring 20.000 € pro Weg, bei der Mini-U-Bahn 6.500 € pro Weg und bei der City-S-Bahn 38.000 € pro Weg, während sie beim Radverkehr nur geschätzte 1.500 € pro Weg ausmachen.

Würden die gleichen spezifischen Kosten für eine Verdopplung des Radverkehrsanteils in Linz von derzeit rd. 5% auf 10% eingesetzt, so stünden für den Radverkehr im Vergleich zum Westring 400 Mio. €, im Vergleich zur Mini-U-Bahn 130 Mio. € und im Vergleich zur City-S-Bahn 760 Mio. € zur Verfügung.

Am Beispiel der Kosten für die A7 Untertunnelung am Bindermichl würden einer Verdoppelung des Radverkehrsanteils durch die erzielte Lärmreduktion 24 Mio. € zustehen.

Förderungen im Vergleich

Im Energieversorgungsbereich werden Energieeinsparungen schon lange gefördert (z.B. Ökostrom, Solaranlagen); legt man diese Förderungen auf den Radverkehr um, so würde eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils durch die Energieeinsparung eine Förderung von 1,7 Mio. € pro Jahr und durch das eingesparte CO2 0,5 Mio. € pro Jahr verdienen. Würde man die Energieeinsparung gleich hoch fördern wie Niedrigenergiehäuser im Rahmen der oberösterreichischen Wohnbauförderung, so könnte man in Linz 11 Mio. € für eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils ausgeben.

Die Rolle der Entscheidungsträger

Wie können die vergleichsweise niedrigen Ausgaben für den Radverkehr erklärt werden, wenn gleichzeitig für MIV- und ÖV-Großprojekte Riesensummen aufgetrieben werden können? Die Erklärung wird wohl darin liegen, dass sich aus dem Klimawandel oder allfälligen Gefährdung der Radfahrer kein Leidensdruck und auch wenig politischer Druck ergibt, sehr wohl aber bei den Millionen Staustunden der Kfz-Fahrer. Während im Zusammenhang mit den Großprojekten oft Argumente wie „unverzichtbar“, „große Verkehrslösung“ und „Befreiung der Innenstadt von der Stauhölle“ fallen, bleiben solche Aussagen im Zusammenhang mit dem Radverkehr aus. Zum einen, weil sich kaum Politiker über die Zuständigkeitsgrenzen hinweg mit der effizienten Förderung des Alltagsradverkehrs identifizieren, zum anderen weil sich kaum jemand vorstellen kann, mit einer Vielzahl von kleinen Projekten für den Radverkehr das gleiche oder sogar mehr bewirken zu können, wie mit einem Großprojekt für MIV oder ÖV.

Investitionen in den Radverkehr

Während Maßnahmen zur Erhöhung des ohnehin schon hohen Niveaus des ÖV in Linz vergleichsweise teuer sind, bringen Investitionen in den Radverkehr aufgrund des derzeit niedrigen Niveaus am meisten. Bei einer erwünschten Reduktion des MIV müsste man die Förderung der Straßenprojekte zurücknehmen, und die der anderen Verkehrsträger erhöhen. Tatsächlich findet diese verkehrsträgerübergreifende Abstimmung aber kaum statt.

Das Erreichen der aktuellen Ziele im Linzer Verkehrsleitbild (u.a. Reduktion des MIV von 49 % auf 40%) ist nur dann möglich, wenn gerade für den Radverkehr Investitionen in noch nie dagewesener Höhe (unser Vorschlag liegt bei 20 bis 25 Mio. €) stattfinden und eine mehrjährige Schwerpunktaktion für den Radverkehr durchgeführt wird. Diese Investitionen sollten sich auf viele kleinere Projekte, wie z.B. Lückenschlüsse im bestehenden Radverkehrsnetz, einige mittelgroße Projekte wie z.B. die Anlegung neuer Radwege und Radrouten und ein paar Großprojekte wie z.B. ein Radfahr- und Fußgängersteg über den Hauptbahnhof oder die radfahrfreundliche Gestaltung der Nibelungenbrücke aufteilen. Letztendlich sollte die Summenwirkung dieser Projekte ermöglichen, dass sich Radfahrer in Linz flächendeckend auf direkten Wegen sicher durch die Stadt bewegen können.

Bisher scheiterten viele derartige Projekte mit der Begründung, dass „kein Geld dafür zur Verfügung stehe“ - diese Argumentation sollte in Zukunft der Vergangenheit angehören.

Download der Kurzfassung dieser Studie: "Wie viel darf der Radverkehr kosten?" (ca. 400KB, PDF)

Die ausführliche Langfassung kann unter info(Klammeraffe)ifahrrad(Punkt)at angefordert werden!



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