Vorarlberger Fahrradgipfel – Freiheit auf Fahr-Rädern
Rubrik: AktuellesVon: Mirko Javurek
Vorarlberg ist zwar ohnehin schon mit 14 % Radfahranteil führend in ganz Österreich, dennoch war das den Vorarlbergern noch zu wenig, weshalb sie beschlossen, 2007 zum „Jahr der Mobilität“ zu ernennen, und quasi als wortwörtlichen Höhepunkt am 4. Mai einen Fahrradgipfel in Feldkirch zu veranstalten. 2 Mitglieder der IFR nahmen teil und berichten.
Als Auftakt leitete der Feldkircher Fahrradbeauftragte Werner Pichler eine Fahrradexkursion durch Feldkirch, bei der die inoffiziell für RadfahrerInnen befahrbaren Fußgängerzonen in der Altstadt und die nahezu flächendeckenden, verkehrsberuhigten Tempo 30 Zonen beeindruckten: um Schleichverkehr zu verhindern, sind sie teilweise sogar für den Autoverkehr durch Pfosten unterbrochen. Die ehemalig stark befahrene Bundesstraße durch das enge Illtal zwischen dem Zentrum und den nördlichen Ortsteilen wurde nach dem Bau eines parallelen Tunnels für den Autoverkehr gänzlich gesperrt.
Über 80 TeilnehmerInnen aus ganz Österreich und den Nachbarländern nahmen am folgenden Tagungsprogramm teil, darunter auch 2 IFR OÖ/ARGUS-Mitglieder aus Linz. Die lokalen Politiker schlugen in ihren Eröffnungsreden ungewohnte Töne an, vom „Planeten der Fieber hat“, von „erst 11 % Radverkehrsanteil“, vom „Straßenraum an Radfahrer Zurückgeben“ und vom „Schrauben Drehen beim MIV“ war da die Rede - Radfahren als Freizeitspaß sei zu wenig, Radfahren müsse zum alltäglichen Maßstab und zur ernsthaften Alternative zum Auto werden, man wolle eine Kultur des Radfahrens schaffen und pflegen, wobei Politiker selbst schon jetzt mit gutem Beispiel voranradeln.
Der dänische Mobilitätsexperte Thomas Krag stellte in seinem packenden und humorvollen Vortrag klar, dass Dänemarks hoher Radfahranteil (über 20 % im Stadtverkehr!) nicht allein darauf zurückzuführen sei, dass das Land weniger „gehügelt“ sei. Radfahren beginnt zunächst im Kopf: Umfragen ergaben, dass viele Nichtradfahrer Radfahren für unattraktiv halten, weil sie die Wegzeiten und das Sicherheitsrisiko überschätzen. Informationskampagnen sind also neben einer radfahrfreundlichen Verkehrsgestaltung sehr wichtig – und die kann sich in Dänemark sehen lassen: von Details wie Rechtsabbiegen für Radler ohne Ampel, Grüne Welle für Radler, priorisierte Radwegräumung im Winter und Prämien für Meldung von Schäden auf Radwegen kann man hierzulande nur träumen; Radabstellanlagen an allen denkbaren Stellen finden sich in ungewohnten Dimensionen, denn „Radfahrer sind faul, sie wollen direkt am Ziel parken“. Dänemark setzt auf Mischverkehr bis 40 km/h, nur bei höheren Geschwindigkeiten werden getrennte Radwege angelegt, sodass „nur“ 12 % der dänischen Straßen Radwege haben.
Sehr beeindruckend Theresia Fröwis’ Schilderung von der Initiative „Radpoint Bezau“: es störte sie, dass sie beim Einkaufen in ihrer 2000 EW Gemeinde als gestresste, erfolgreiche Kauffrau gesehen wurde, wenn sie mit dem Auto kam, aber als bemitleidenswerte autolose Hausfrau, wenn sie mit dem Fahrrad kam. So initiierte sie einen Pass zum Punktesammeln für radelnde KundInnen bei Geschäften und Gemeinde, mit regionalen Produkten als Belohnung. Die Aktion kam unerwartet gut an und bewirkte einen Imagewandel, sodass die VerkäuferInnen mit der Zeit nachfragten, ob die KundInnen eh wieder mit dem Rad da wären. Bei der Liechtensteiner Firma Inficon werden erfahrene Radler dazu motiviert, mit weniger routinierten Zweierteams zu bilden, um gemeinsam zur Arbeit zu radeln; Duschen und Umkleidemöglichkeit am Arbeitsplatz sind selbstverständlich. Um die Anreise per Rad bei einem Zeltfest attraktiv zu machen, richteten die Organisatoren eine eigene „Fahrradgarderobe“ ein, wo Fahrräder direkt beim Eingang bewacht und überdacht verstaut werden konnten. Und Vorarlbergs ÖBB-Infrastruktur Bau AG plant auf eigene Initiative radfahrgerechte Bahnhöfe und Abstellanlagen!
Wie viel ein engagierter Radverkehrsbeauftragter bewirken kann, kam in Peter Weiß’ Vortrag eindrucksvoll zu Tage: durch seinen unermüdlichen Einsatz erreichte Salzburg seinen österreichweit führenden Radverkehrsanteil von 18 %! Da werden nicht einfach „nur“ Radwege gebaut, sondern auch durch Unfallanalysen und Konfliktbeobachtungen Gefahrenstellen beseitigt. Durch die Entwicklung von überdachten, nicht genehmigungspflichtigen Radständern und durch Kampagnen (z.B. der radfahrende Bürgermeister) wird für ein attraktives Radklima gesorgt.
Feldkirchs Stadtbaumeister Gabor Mödlagel gab schließlich gute Tipps für eine erfolgreiche kommunale Fahrradpolitik: Kampagnen mit Politikern in Vorbildrollen (Presse soll Leser aufrufen, Fotos von radelnden Politikern zu schicken; Politikerräder mit Kilometerzähler ausstatten und Kilometerleistung protokollieren), Sehnsüchte bei Entscheidungsträgern schaffen, indem vorbildliche Städte (z.B. Kopenhagen) besucht werden; Einrichtung eines Beschwerdetelefons, wo rund um die Uhr aufs Band gesprochen werden kann mit Beschwerdemanagementsystem (Offen/Erledigt-Status).
Angeregt mit vielen Ideen und Eindrücken machten sich die TeilnehmerInnen auf den Heimweg, ein paar davon setzten auf der Heimreise in den Osten ihre Diskussion im Speisewagon bei isotonischen Getränken fort...
Download Vorträge: http://www.feldkirch.at/fahrradgipfel/vortraege
Dieser Artikel erschien 2007 auch im Österreich-Drahtesel.
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