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Sonntag, 31. Januar 2021
Dienstag 12. Februar 2008

Erfahrungsbericht 1 Jahr autofrei

Rubrik: Aktuelles, Alltagsradfahren
Von: Martin Kolroß

Wie das Fahrrad anstelle des Autos zum Hauptfortbewegungsmittel wurde - ein Erfahrungsbericht von Martin Kollroß. Radfahren als Selbstverständlichkeit und Luxus.

Martin Kollroß beim Kaukasus-Fahrradurlaub

Radfahrer war ich schon immer. Jedenfalls seit ich stolz auf die Stützräder verzichten konnte. Mit Erlangen des Führerscheins wurde ich auch zum Autofahrer, und kurze Zeit später zum Autobesitzer, woran sich knapp 15 Jahre lang nichts ändern sollte. Und ich schätzte diesen Luxus. Zwar vermied ich Autofahrten in der Stadt, ich erledigte diese Wege grundsätzlich mit dem Rad, genoss aber auch die Freiheit, jederzeit überall motorisiert hinzugelangen, und noch dazu eine beträchtliche Menge an Gepäck mitzunehmen. Das Auto als Selbstverständlichkeit.

Und nicht nur das. Das Auto als treuer Begleiter, als mobile Wohnraumerweiterung, man beginnt es zu verzieren, zu gestalten, einzurichten, man deutet auftretend Mängel um zu ´Macken´ und Eigenheiten, unterstellt ihm fast schon Persönlichkeit. Es wird zum wichtigen Teil im eigenen Leben, es prägt den finanziellen Jahreskreis. Was man bei all der Freude an der motorisierten Mobilität gern übersieht, beziehungsweise verdrängt, ist, dass ein Kfz große zeitliche und finanzielle Anforderungen an ihre(n) Besitzer(in) stellt, um es zu betreiben, zu warten und betriebsfähig zu erhalten. So kam es, als mein altes Auto nicht mehr gefahren werden durfte, dass mir zum ersten Mal in den Sinn kam: kein Auto - keine Sorgen.

Das neue Auto war dann ein Bus. Super. Viel Platz, viele Möglichkeiten, viel Arbeit, viele Kosten. Es entwickelte sich eine regelrechte Hassliebe. Diese währte gut zwei Jahre, bis sich auf Grund konstanter, wiederkehrender und kostspieliger Defekte letztendlich die Vernunft durchsetzte, und ich mein Gefährt verkaufte. Es war eine Erleichterung.

Ich fasste den Entschluss, mindestens ein Jahr lang unmotorisiert durchs Leben zu wandeln. Ich genoss es von Anfang an, und war erstaunt, dass dieser für mich neue Umstand meine Mobilität keineswegs einschränkte. Ohnehin schon immer wichtig, erwuchs meinem Fahrrad immer größere Bedeutung. Ich begann Reparaturen und Wartungsarbeiten ernster zu nehmen, es topp in Schuss zu halten, musste ich mich doch auf es verlassen können, um voran zu kommen. Es übernahm die Stellung des Autos, bei wesentlich geringeren Kosten und Mühen. Weiters dehnte ich den Radius aus, innerhalb dessen ich Orte als mit dem Rad erreichbar einstufte. Mit diesen Um- und Einstellungen lässt sich ein Großteil des Mobilitätsbedarfs abdecken.

Und Zugfahren ist auch eine lässige Sache. Ist zwar trotz Vorteilscard meiner Meinung nach immer noch zu teuer, kann man sich als autofrei lebender Mensch aber locker leisten. Und dann gibt es ja auch noch die Autos der anderen. Man steigt halt nicht mehr einfach ein und fährt los, sondern man „connectet“ sich mehr mit seinem Umfeld, sucht und findet Mitfahrgelegenheiten. Gilt es Transporte zu bewerkstelligen, kann man sich ausnahmsweise Autos ausleihen oder mieten. Man könnte jetzt natürlich sagen: „Ahja, ganz ohne Auto geht's dann wohl doch nicht, Herr ‚Autofrei’.“ Mag stimmen. Man kann sich aber aussuchen, wo die Prioritäten liegen. Als ich noch ein Kfz besaß, habe ich wesentlich mehr meiner Wege in eben diesem zurückgelegt, als es unbedingt nötig gewesen wäre. Die Nutzung der Alternativen erscheint unattraktiv, solange man den Zulassungsschein in der Tasche hat. Es ändert sich das wie und womit, das Reisen, das Fortbewegen selbst bleibt bestehen.

Mittlerweile ist der anfängliche Vorsatz zur Selbstverständlichkeit geworden. Und ich schätze diesen Luxus. Im Übrigen bin ich der Meinung, es sollte mehr Rad gefahren werden.

Martin Kollroß (geb. 1972 in Linz) arbeitet bei der Lebenshilfe Linz und ist passionierter Alltagsradler.



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